Hottinger, Arnold, Akbar der Große (1542-1605) – Vorstellung

Vor einigen Jahren stieß ich in einem Zusatzband der Propyläen-Weltgeschichte, der „Summa historica“ benannt worden war, auf einen Text über indische Geschichte, in dem von „Akbar de[m] Großen“ die Rede war, von dem ich noch nie vorher gehört oder gelesen hatte. Da die Erzählung über diesen Kaiser der frühen Neuzeit interessant klang, kaufte und las ich die anscheinend einzige deutschsprachige Biografie über Akbar, verfasst von Arnold Hottinger, anhand derer ich in einem Text für mein damaliges Blog Akbar vorstellte; besagter Post soll dem geneigten Leser leicht modifiziert nicht vorenthalten bleiben.

Die im Text artikulierten Gedanken stammen im Zweifel von Hottinger.



Nähern wir uns der Person Akbar über die Vorgeschichte Indiens, als deren bedeutendstes Ereignis für die Begründung der indischen Kultur die Einwanderung, um es zurückhaltend zu formulieren, der Āryas im zweiten Jahrtausend vor Christus beschrieben wird. Die Eroberer bilden die Spitze der sozialen Hierarchie; an ihrer Spitze wiederum stehen die Brāhmanen, die Priester, die ihre besondere Bedeutung auf ihre Mittlerstellung zwischen Göttern und Menschen stützen. Mittel der Wahl zur Beeinflussung der höheren Mächte ist das Opfer, das im Laufe der Zeit so zentrale Bedeutung gewinnt, daß ihm eigene metaphysische Kraft zugesprochen wird.

Dies führt naturgemäß zu einer Degradierung der Götter; es entwickeln sich philosophisch anmutende Vorstellungen vom Brāhman, eine Art Urprinzip der Dinge, und vom Ātman, der Seele, die im Grunde identisch sind – alles ist Teil des großen Ganzen. Hieraus leitet sich auch eine gewisse religiöse Toleranz des Hinduismus ab: Alle denkbaren Gottesvorstellungen stehen gleichsam symbolisch für die Göttlichkeit.

Weitere zentrale Begriffe indischer Philosophie werden Karman, Samsāra und Dharma. Letzteres ist die universale Ordnung des Universums und aller Dinge – mich erinnert dies etwas an die altägyptische Ma'at –, die normative Imperative für den freiverantwortlichen Menschen liefert. Handelt der Mensch nach den Regeln der Dharma, ist es ihm vergönnt, im Kreis der Wiedergeburten (Samsāra) gleichsam in der Hierarchie der Wesen aufzusteigen. Das individuelle Sünden- und Wohltatenregister ist das Karman, das dem Ātman anhaftet.

Diese Sicht der Dinge führt zu einem gewissen Gleichmut gegenüber den Herrschaftsverhältnissen: Ist man Bestandteil eines ewigen Kreislaufes und ist die Realität Resultat von Handlungen der Mitgeschöpfe in vorigen Existenzformen, so eignet man sich schwer als Revolutionär. Es hat alles seine Ursachen.

Diese sehr stabile Passivität hat so manche Fremdbeeinflussung überstanden und auch die muslimischen Eroberer, die zuvor stets den Anspruch hatten, eroberte Gebiete komplett oder zumindest weitgehend zu islamisieren, teilweise sozusagen „zur Weißglut gebracht“, da sie mit dem passiven Widerstand der Hindus nicht umzugehen wussten. Kein islamisches Reich in Indien, das sich der muslimischen Orthodoxie verschrieben hatte, konnte sich auf Dauer halten. Im Erobern selbst war man aufgrund der militärischen Überlegenheit sehr fähig; Wurzeln schlagen funktionierte allerdings nicht zuletzt aufgrund administrativer Schwäche nicht: Dynastien kamen und gingen.

Erst der Moghul-Dynastie sollte eine gewisse Dauerhaftigkeit gegeben sein. Begründer ist ein gewisser Babur (1483-1530), seines Zeichens mütterlicherseits Nachfahre von Dschingis-Khan, von dessen Mongolen sich auch der Name unserer Dynastie ableitet. Babur eroberte vom afghanischen Kabul aus ein Reich in Nordindien, das schließlich – nach einigen Komplikationen – sein Enkel Akbar erben und sehr lange (1556-1605) regieren sollte.

Akbar selbst konnte trotz einer vorzüglichen Ausbildung nicht lesen und schreiben. Für einen zeitgenössischen Herrscher war das freilich nicht problematisch; man regierte mündlich. Von weltgeschichtlicher Bedeutung scheint die Wahl eines bestimmten Lehrers für Akbar gewesen zu sein: Ein gewißer Abdu'l-Latif, ein Mystiker mithin dogmatisch eher lockerer Muslim, soll Akbar das politische Konzept der „Sulh-e-Kull“ nahegebracht haben, eine Art „Frieden für alle“. Neu an diesem Konzept ist eine Aufwertung der Hindus. Christen und Juden gelten jedenfalls im der Sharia zugeneigten Islam als „Dhimmis“, als Schutzbefohlene, die – zumindest wenn sie die entsprechende Steuer „Jizya“ zahlen – durchaus von Muslimen als Angehörige einer Buchreligion zu achten sind. Jetzt sollen auch die Hindus gewiße Rechte genießen, Partner einer Versöhnung sein können. In einem Land, in dem Muslime die Minderheit sind, eine recht klug anmutende Idee.

Nicht zu verschweigen ist, dass auch Akbar einiges getan hat, was aus heutiger Sicht als problematisch betrachtet wird. Blutige Kriege, Eroberungen und Grausamkeiten lassen auch seine Herrschaft, die sich zur Zeit seines Todes über 3/4 Indiens erstreckt, von Blut nicht unbefleckt; historische Signifikanz gewinnt Akbar jedoch aus anderem Grund.

Dieser Grund dürfte seine Wurzeln in dem theologischen Denker Akbar haben, der als solcher lebhaftes Interesse an den unterschiedlichen Religionen hatte. Nach Diskussionen mit ihren Vertretern – auch Jesuiten genossen seine Gunst – und jahrelangen eigenen Überlegungen gelangt er im Laufe der Zeit zu der Erkenntnis, die wohl schon vorher unbewusst als Vermutung Grundlage seiner Politik war, dass alle Religionen im Grunde Symbole seien für den einen Gott, oder auch das eine Göttliche, sie also durchaus alle zu achten seien. Abneigung entwickelt Akbar gegen Dogmatiker, insbesondere die berühmten Mullahs, die seiner Ansicht nach sich eher gegenseitig befehden denn nach der Wahrheit streben. Folgerichtig behält er sich selbst vor, in allen Fragen, in denen sich die Gelehrten nicht einig sind, selbst zu urteilen.

Praktisch äußert sich dieses Religionsverständnis in einer sehr liberalen Religionspolitik. Alle Sondersteuern auf andere Religionen schafft er ab, die Versklavung von im Krieg gefangenen Hindus wird verboten, Bauverbote für Tempel entfallen, auch der höhere Staatsdienst wird für Nichtmuslime geöffnet. Sogar – welch ein Skandal – wird konversionswilligen Muslimen der Übertritt gestattet.

Im Ergebnis erreicht Akbar eine weitgehende Gleichberechtigung aller Bürger seines großen Reiches, was zusammen mit dem Aufbau einer effizienten Verwaltung und der Beteiligung aller kooperationsbereiten Gemeinschaften Indiens an der Herrschaft die Grundlage für ein wirklich stabiles Reich schafft. Akbar könnte man als ersten indischen Herrscher betrachten, nicht mehr als fremden, betont muslimischen. Folgerichtig gilt er in Teilen der islamischen Geschichtsschreibung als Verräter.

Trotz alledem ist das Verhältnis zwischen Muslimen und Hindus in Indien bis auf den heutigen Tag nicht von grenzenloser Harmonie geprägt. Einer der traurigen Höhepunkte einer schwierigen Beziehung sind die Spannungen unmittelbar nach der Unabhängigkeit des Reiches vom Empire, die in fürchterlichen Blutbädern mündeten. Das Dauerkriseln unserer Tage zwischen Pakistan und Indien darf allerdings nicht in den Hintergrund geraten lassen, dass innerhalb Indiens Muslime und Hindus weitgehend friedlich zusammenleben.