Churchill, Winston, Der Zweite Weltkrieg – Buchvorstellung
Das Werk ist in vier Bücher unterteilt und beginnt – „Der Weg in die Katastrophe” – mit der Darstellung dessen, was nach Churchills Ansicht nach dem ersten Weltkrieg schieflief. Nach kurzem Streifen der unglücklichen Regelungen und fatalen Folgen des Versailler Vertrags folgt neben einer Charakterisierung Hitlers ein Überblick im Schnellverfahren über die Endphase der Weimarer Republik, der sich u.a. eine Schilderung des sog. „Röhm-Putsches” und der Zuckungen des Völkerbundes sowie eine quälende, teilweise aber fast schon grotesk-witzige Darstellung der Appeasement-Politik anschließt. Das Ende des ersten Buches wird durch die Beschreibung des Endes der Regierung Chamberlain gebildet.
Ich hatte schon seit längerem die Ansicht für einleuchtend erachtet, die „Bewegung” sei eher eine linke denn eine rechte gewesen, da die Sozialisierung der Menschen in einer „Volksgemeinschaft” trotz der Aufrechterhaltung der bisherigen, wie ein Marxist wohl sagen würde, „Besitzverhältnisse an Produktionsmitteln”, entscheidendes Wesensmerkmal der Herrschaft und auch programmatisches Anliegen der Nationalsozialisten war. Neu in dieser Form war mir, dass die SA quasi eine Art wirtschaftlich-revolutionäre Fraktion innerhalb der NSDAP darstellte. Ich hatte gedacht, ihre Neutralisierung sei für Hitler schlicht deshalb Gebot der Stunde gewesen, um in einem ganz gewöhnlichen Machtkampf die absolute Kontrolle über Staat und Gesellschaft zu behalten. Anscheinend wollte er aber weitaus weniger den Bruch mit den bestehenden wirtschaftlichen Verhältnissen als große Teile seiner Nationalsozialistischen Partei, da er das bestehende Wirtschaftssystem in den Dienst für seine „höheren“ Pläne zu stellen beabsichtigte. Als Verbündeter Hitlers in diesem Kampf gegen die Revolution stellt Churchill die Reichswehr dar; vielleicht ist die Vereidigung auf Hitler eine Art Gegenleistung für die Ausschaltung des konkurrierenden bewaffneten Verbandes.
Im Lichte der späteren Geschehnisse schüttelt man wiederholt der Kopf, liest man bei Churchill, wie die britische Politik in den 30er Jahren auf die Aufrüstung Deutschlands (unter Bruch internationaler Verträge) reagiert: Teilweise nimmt man sie nicht wahr, teilweise unterschätzt man sie oder redet sie sich schön. Als sich der Irrtum herausstellt, entschuldigt sich Premier Baldwin für seine Fehleinschätzung ... und damit hat es sich dann. Labour und Liberale drängen auf einseitige Abrüstung Großbritanniens, damit das Land der Welt als Vorbild, als Beispiel dient. Baldwin nimmt die allgemeine pazifistische Stimmung auf und verspricht hoch und heilig, dass es Aufrüstung nicht geben werde.
Entschlossenheit, die Durchsetzung des Völkerrechtes sicherzustellen, heuchelt man freilich schon: Angesichts der Eroberung Abessiniens durch Mussolini weicht man in Rhetorik keinen Millimeter von seinen Forderungen ab – und unterstützt Sanktionen, die nun gerade so fein austariert sind, dass sie keinen casus belli liefern. Der entsprechend bearbeitete Völkerbund „schritt [..] zur Rettung Abessiniens mit dem Vorsatz, daß nichts getan werden dürfe, was die italienischen Invasionsarmeen hinderte”.
Churchill äußert sich sehr negativ über diese Politik: Speziell die unterlassene Aufrüstung der Luftwaffe ist für ihn fatales Versäumnis. An anderer Stelle las ich freilich, eine zu frühe Aufrüstung des Inselreiches hätte zu bei Kriegsausbruch veralteter Hardware geführt; erst in den späten 30er Jahren hätten britische Fertigungsstätten Waffen (namentlich die einflügeligen Spitfire und Hurricane) produzieren können, die mindestens ebenbürtig mit den Produkten deutscher Rüstungsbestrebungen gewesen seien. Inwieweit entschiedenere Politik gegen Deutschland zu diesem Zeitpunkt Schlimmeres verhindert hätte, ist die Frage: Möglicherweise hätte Frankreich die militärischen Kapazitäten gehabt, eine Einhaltung der Verträge zu erzwingen. Hätte es aus London mehr Rückhalt gegeben ...
1937 wird Neville Chamberlain Premierminister. Ihm geht es darum, den Frieden dadurch zu sichert, dass Großbritannien für ein harmonisches Verhältnis zu den Diktatoren des Kontinents sorgt, indem man ihnen entgegenkommt und Irritationen, so weit es geht, vermeidet. Hierbei schlägt der Konservative sogar ein dezentes Vermittlungsangebot Amerikas aus. Dies vielleicht ein Fehler, wobei sich die Frage stellt, ob Roosevelt zu diesem frühen Zeitpunkt nicht ein zu großes Risiko eingegangen ist, Steilvorlage für amerikanische Isolationisten zu liefern.
Als Höhepunkt des Appeasement gilt München – Chamberlain liefert Hitler große Teile der Tschechoslowakei auf dem Silbertablett, um den Krieg zu vermeiden. Eine brutale Entscheidung, doch wenn Hitler nun besänftigt ist, nun seine Ziele erreicht hat und Frieden will, dann mag sich das Opfer gelohnt haben. Wenn nicht, bedeutet München allenfalls einen Zeitaufschub. Churchill weist auf den militärischen Aspekt hin: 35 Divisionen der tschechischen Armee hätte das westliche Lager durch die Annexion verloren; das Kräfteverhältnis habe sich endgültig zuungunsten der Aliierten verändert. Vielleicht gravierender ist, dass Hitler wieder einmal Recht gehabt hat, was die Schwäche des Westens angeht: Deutsche Generäle, die zum Putsch bereit gewesen waren, verharren verunsichert in ihrer Warteposition.
Von nun an habe England zunehmend damit gerechnet, dass ein neuer Waffengang bevorstehe. Über den Chef der Jagdfliegerflotte, die die Hauptlast des Battle of Britain tragen sollte, Hugh Dowding, habe ich gelesen, er habe in Erahnung des Zukünftigen Chamberlains Politik trotzdem unterstützt, um Zeit zu haben, die Jagdflotte aufzubauen und zu einem schlagfähigen System zusammenzufassen. Insoweit hat der Aufschub, militärisch gesehen, anscheinend Licht- und Schattenseiten.
Was nach dem 1. September 1939 geschieht, ist bekannt: Die Wehrmacht erobert Polen in einem Blitzkrieg und im Westen schaut Frankreich tatenlos zu und wartet darauf, seinerseits erobert zu werden. Nach dem missglückten Norwegen-Abenteuer der Navy hält sich Premier Chamberlain nicht mehr für politisch überlebensfähig; Churchill übernimmt und wird Chef einer Allparteienregierung.
Nun beginnt das zweite Buch: „Allein”, in dem es um die traurige Zeit geht, in der Frankreich aufgrund seines Defätismus den Krieg verliert, London sich darauf vorbereitet, allein weiterzukämpfen, es unter hohen Blutopfern auch tut, der Balkan fällt und der Krieg nach Nordafrika getragen wird.
Häufig erzählt sind auch die Einzelheiten dessen, was nach dem Angriff Hitlers auf Frankreich passiert: Die deutschen Panzerverbände überrennen das Land und den britischen Streitkräften gelingt eine logistische Meisterleistung in Gestalt der Flucht über den Kanal. Paris wird besetzt und Hitler macht Sightseeing. In seiner Planung ist nun Frieden mit England zu schließen, damit er sich ganz auf den großen Krieg im Osten konzentrieren kann.
Doch daraus wird nichts: Der neue Premierminister Churchill fordert quasi die bedingungslose Kapitulation – mit Deutschland an der Gurgel Großbritanniens. Das kleine England allein gegen die Supermacht – berechtigte Zweifel gibt es, ob die Insel dieser Herausforderung gewachsen ist. Um den Krieg zu gewinnen, muss Hitler eine Invasion durchführen. Das setzt Luftherrschaft voraus, weshalb die Luftwaffe unter dem Oberbefehl von Göring versucht, die Royal Air Force zu neutralisieren.
Ich hatte vor der Lektüre Churchills gedacht, diese Schlacht – Battle of Britain, ausgefochten von ein paar Tausend Piloten, habe das Schicksal Europas entschieden: Hätte die Luftwaffe die Lufthoheit erreicht, hätte die Invasion ohne große Schwierigkeiten durchgeführt werden können. Das scheint so nicht ganz zu stimmen: Zwar ist die Luftherrschaft conditio sine qua non; Churchill verweist aber darauf, dass die „Operation Seelöwe” nicht ohne massive Gegenwehr hätte durchgeführt werden können. Die Royal Navy hätte die Zahl der Boote der Eroberer massiv dezimiert; auch an Land hätte das aus Dünkirchen zurückgeholte Expeditionscorps den Deutschen einen nicht sehr freundlichen Empfang bereitet.
Existenziell ist für Churchill etwas anderes: Der U-Boot-Krieg im Atlantik. Die Versorgung der Insel aus Übersee allein schon mit Lebensmitteln ist für den dienstjungen Premier, dessen Land zur Zeit ganz allein gegen Hitler kämpft, der den Kontinent (größtenteils) unter Kontrolle hat, Anlass für massive Sorge.
Man wird die entscheidenden Schlachten am Ende gewonnen haben; erst einmal eröffnen sich jedoch neue Fronten: In Afrika, auf dem Balkan, in Griechenland ... überall kämpft England gegen die vorrückenden Deutschen bzw. Italiener und Erfolge gibt es nur vereinzelt. Hilfe erhofft man sich aus Amerika und sie kommt in Gestalt eines politischen Tricks. Roosevelt kann Großbritannien keine Güter verkaufen, da die Insel pleite ist. Also verleiht er und verpachtet er, hierbei die Öffentlichkeit ein wenig nasführend, in der eine Kriegsbeteiligung der USA extrem unpopulär ist.
Gern sieht man heutzutage den Angriff auf die Sowjetunion als den Anfang vom Ende des Hitlerregimes. Um die Zeit nach ihm geht es im Dritten Buch, „Die Große Allianz”, in dem die Folgen des Angriffes auf Russland geschildert werden, Pearl Harbour den Krieg wirklich zu einem Weltkrieg macht, Ostasien auch für das Empire Kriegsschauplatz wird und die Deutschen aus Afrika vertrieben werden.
In Europa kann die Wehrmacht zunächst große Erfolge bei der Eroberung der Sowjetunion verbuchen. Ein Hauch von Genugtuung kann Churchill wohl unterstellt werden, der zuvor hatte erleben müssen, wie die Sowjetunion kalten Herzens zusah, wie Hitler den Kontinent unterwarf, und nichts unternahm, die drohende Gefahr durch Unterstützung Englands abzuwenden. Sogar deutliche und konkrete Warnungen unmittelbar vor Kriegsausbruch waren nicht beachtet worden.
Im Deutschen Oberkommando werden nach den rauschenden Anfangserfolgen allerdings gewisse Befürchtungen wach. Die Eroberer sind teilweise auf die russische Infrastruktur angewiesen, die aufgrund ihrer Schwäche einen allzu schnellen Vormarsch verzögert. Partisanen tun ihr Übriges. Bekannt ist, dass die Winterausstattung der deutschen Soldaten unzureichend war, da Hitler einen weiteren Blitzkrieg geplant hatte.
Für Churchill ist der neue Verbündete, den er in jüngeren Tagen massiv politisch bekämpft hatte, zunächst nur eine Last. Wertvolle Rüstungsgüter müssen nach Russland abgezweigt werden; das Drängen Moskaus nach einer „Zweiten Front” im Westen nervt und ärgert den Strategen in der Downing Street, der die Unmöglichkeit einer Invasion zu diesem Zeitpunkt mehr als deutlich vor Augen hat. Erst Pearl Harbour ist für den Engländer der entscheidende Wendepunkt: Durch den Angriff auf das Hauptquartier der amerikanischen Pazifikflotte beschwört Japan seinen Untergang herauf. Churchill ist klar, dass in diesem Moment auch Hitlers Schicksal besiegelt ist. Die neue Zeit beginnt allerdings mit einer Reihe von Pannen; die schlimmste ist Singapur, wo die Verteidigungsanlagen fahrlässig unzureichend sind, so dass es leichte Beute für die Japaner wird.
Als Wendepunkt des Pazifikkrieges gilt die Schlacht bei Midway. Führt man sich die ungeheuren Rüstungskapazitäten der USA vor Augen, zweifelt man jedoch nicht, dass der Untergang des Japanischen Kaiserreiches nur eine Frage der Zeit war. 1942 hatten die USA drei Flugzeugträger, 1943 fünfzig, 1945 mehr als einhundert. Freilich scheinen nach Kriegseintritt der USA ihre Stützpunkte im Pazifik ein wenig arg isoliert. Japan greift den Stützpunkt auf Midway mit von Flugzeugträgern gestarteten Bombern an. Die Ausbeute ist unbefriedigend und da die Luftaufklärung meldet, es seinen keine amerikanischen Träger zu sehen, lässt der japanische Kommandeur Admiral Nagumo seine Flugzeuge für einen zweiten Bomberangriff vorbereiten. Damit kann die Flotte allerdings nicht mehr effektiv gegen eine große Zahl amerikanischer Angreifer verteidigt werden – Sturzkampfbomber von den angeblich abwesenden Trägern Enterprise und Yorktown machen drei der vier anwesenden japanischen Flugzeugträgern kampfunfähig; der vierte wird in einem Gefecht zerstört, durch das auch die Amerikaner einen Träger verlieren.
Churchill wundert sich über geringe Flexibilität der japanischen Führung und eine Neigung, einen Plan fallen zu lassen, wenn zu viele unvorhergesehene Komplikationen auftreten. Er referiert Äußerungen, deren zufolge die japanische Sprache nicht geeignet sei, mit Hilfe von Signalen Improvisationen zu ermöglichen. Wesentlich sei aber auch gewesen, dass die Aufklärung Amerikas, insbesondere was Kenntnisse japanischer Geheimnisse angehe, hervorragend gearbeitet habe.
Wichtige politische Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen den USA und dem Empire ist die persönliche Freundschaft zwischen Präsident Roosevelt und Premier Churchill, die noch vor Kriegsausbruch im Pazifik die später sog. Atlantik-Charta hervorbringt. Die Regierungen der USA und Großbritanniens stellen in ihr die Forderung auf, jedes Volk müsse selbstbestimmt Regierung und Regierungsform wählen, die territoriale Integrität der Staaten dürfe nicht militärisch angetastet werden und jeder Staat habe das Recht auf Teilhabe am Wohlstand bringenden Welthandel und den Weltrohstoffen; langfristiges Ziel sei die Zusammenarbeit der Nationen zwecks Verbesserung von Arbeitsbedingungen sowie zur Garantierung des wirtschaftlichen Gedeihens und sozialer Sicherheit. Ein zukünftiger Gewaltverzicht sei zunächst durch eine Weltorganisation für die allgemeine Sicherheit abzusichern.
Klingt nett, aber was ist, wenn ein Staat die Menschenrechte seiner Bürger mit Füßen tritt, gar einen Genozid bzw. Demozid veranstaltet? Einen solchen Fall scheint man nicht als Problem wahrzunehmen. Erstaunlich ist für den deutschen Leser ganz generell, dass die fürchterlichen Verbrechen im Osten, die ihren Gipfel im Holocaust finden, in Der Zweite Weltkrieg schlicht nicht thematisiert werden. Erst im Epilog von 1957 wird die Shoah gestreift: als Entschuldigungsgrund für – so Churchill – irrationales politisches Verhalten der Juden in Palästina.
In diesem frühen Stadium zeigt sich m.E. bereits eine der zwei großen Schwächen der Nachkriegsordnung. Die erste erkennt Churchill sehr früh: Die UN haben keine eigenen Streitkräfte. Noch tragischer ist jedoch, dass der Schutz der Menschenrechte schon der Grundkonstruktion des neuen(?) internationalen Rechtes nach nicht institutionell abgesichert wird: Der Eingriff in ein Staatswesen von außen zur Verhinderung etwa eines Völkermordes ist aufgrund des allgemeinen Gewaltverbotes untersagt, wenn nicht der Sicherheitsrat – damit Russland(!) und China(!!) – zustimmt. Die nationale Souveränität ist heilig; ob Menschenrechte durchgesetzt werden, ist eine politische Entscheidung. Man ist in den 40er Jahren anscheinend noch sehr in den Grundgedanken eines Völkerrechts gefangen, dessen Gestalt wesentlich durch den westfälischen Frieden geprägt wurde – Menschenrechte zählten damals nicht. Für die UN zählen sie auch heute nicht.
Die Gründung der Organisation der Vereinten Nationen – die Vereinten Nationen sind die gegen Hitler verbündeten Staaten – ist 1941 jedoch noch Zukunftsmusik. Angst hat man vor einem möglichen Sonderfrieden der Sowjetunion mit Deutschland; Moskau drängt auf die Zweite Front. Sie wird es frühestens 1943 geben, aber vielleicht kann man Russland doch entlasten – mit einer „Dritten” Front. Die wird letztendlich in Italien liegen; zunächst sieht man jedoch die Aufgabe, Afrika zu befreien. Die Deutschen sind dort, weil Italien – den Untergang Englands vor Augen – die Wiederrichtung des römischen Reiches forciert hatte. Sowohl die Eroberung Griechenlands wie auch die Nordafrikas – Ägypten ist britisch – scheiterten jedoch. Die zu Hilfe gerufenen Deutschen sind auf der Peloponnes erfolgreich; nicht jedoch in Nordafrika, obwohl Rommel, den Churchill in höchsten Tönen lobt, sehr erfolgreich Krieg führt. Die Entscheidungsschlacht bei El Alamein geht für Rommel verloren; der Todesstoß für die deutsche Präsenz in Nordafrika ergeht jedoch erst nach einer großen Invasion: Im Rahmen der Operation Torch (Fackel) landen amerikanische und britische Verbände in Nordafrika, wo sie sich zunächst mit den Franzosen auseinander zu setzen haben.
Hitler schickt – angesichts einer bröckelnden Ostfront eine katastrophale Entscheidung – fast einhunderttausend Soldaten nach Afrika, was die Schlacht länger dauern lässt als geplant. In Tunesien fällt der Vorhang nach dem letzten Akt des Dramas: Die Allliierten haben Luftherrschaft und Seeherrschaft, womit Nachschub und Flucht ausgeschlossen sind. Schließlich kapitulieren die Deutschen unter Generaloberst von Arnim, der Nachfolger des kranken Rommels ist; insgesamt gelangen in Nordafrika fast eine Viertelmillion Soldaten der Achsenmächte in Kriegsgefangenschaft. In England läuten die Kirchenglocken; erstmals seit Kriegsbeginn feiert London einen Sieg.
Kurz nach Beginn der Invasion hatten sich in Casablanca Roosevelt und Churchill getroffen, um die Strategie für die nächste Zeit zu besprechen: Soll man Afrika zu Ende bringen, bevor man sich der großen Invasion in Westeuropa zuwendet, oder alle Kräfte auf die Ladung in der Normandie konzentrieren? Man einigt sich zugunsten der ersten Option. Aufmerksamkeit hat die Konferenz dadurch erhalten, dass Roosevelt vor der Weltpresse die Forderung aufstellt, Deutschland müsse „bedingungslos kapitulieren”, unconditional surrender.
Die Regeln klassischer Staatsführungskunst – wenn es so etwas denn gibt – kennen die „bedingungslose Kapitulation” nicht. Gewinner und Verlierer des Krieges treten in Verhandlungen ein und am Ende gibt es einen Friedensvertrag, der idealerweise auch den Verlierer nicht allzu viele Kröten schlucken lässt. Dass in Versailles dieser Grundsatz verletzt wurde, ist eine der Ursachen für den Zweiten Weltkrieg. Folgerichtig ist kritisiert worden, die Forderung nach unconditional surrender habe den zweiten Weltkrieg verlängert, da die gegnerischen Führungen aus purer Verzweiflung bis zum bitteren Ende gekämpft hätten.
Die Veröffentlichung der Formel, die als solche durchaus Diskussionsgegenstand gewesen war, erklärt Churchill durch eine leichte Nachlässigkeit Roosevelts. Der Präsident habe sich während der Pressekonferenz an den Bürgerkriegsgeneral Grant erinnert, der den Spitznamen Old Unconditional Surrender trug, und dabei seien dann die Worte quasi von selbst herausgekommen. Der Premier rechtfertigt sie damit, dass Entwürfe für Regelungen, die Gegenstand eines Friedensvertrages hätten werden können, so „schlimm“ aussahen, dass demgegenüber die verschwommene Formel besser gewesen sei.
Wer sich mit der Person Hitlers ein wenig beschäftigt hat, misst diesem Streit nicht allzu viel Bedeutung bei. Angesichts der drohenden Niederlage den Kampf abzubrechen und zu retten zu versuchen, was zu retten war, hätte dem Handeln der „Novemberverbrecher” gegen Ende des Ersten Weltkriegs entsprochen. Mit Hitler wäre so etwas nicht zu machen gewesen; eine der Grundkonstanten seiner Politik war es, bis „fünf Minuten nach Zwölf” weiterzumachen. Ob die Generalität eher zum Putsch bereit gewesen wäre? Die Offiziere mit Rückgrad haben es trotzdem versucht und sind gescheitert. Im Übrigen musste allen klar sein, dass auf die ungeheuren Verbrechen ein Strafgericht folgen würde.
Der Niederlage näher rückt Deutschland durch die Schlacht bei Stalingrad. Dass die Winterausstattung unzureichend war, ist allgemein bekannt. Was passiert wäre, wenn Hitler seinen Zeitplan hätte einhalten können, steht in den Sternen. Jedenfalls konnte er ihn nicht halten; Churchill sieht dafür mehrere Gründe. Zum einen, wie erwähnt, die unzureichende Infrastruktur im Osten, die noch dazu später zur Judenvernichtung missbraucht wird, weshalb der militärische Nachschub leidet. Ferner hätten sich die Eroberungsbemühungen Deutschlands auf dem Balkan dadurch verzögert, dass in Jugoslawien zugunsten einer deutschfeindlichen Regierung geputscht worden sei, weshalb man eine Invasion für notwendig gehalten habe. Ein weiterer Grund kann in der Entscheidung Hitlers gesehen werden, erst Leningrad anzugreifen, Moskau dann später. Aber hätte die Eroberung der Hauptstadt Russlands einen Sieg bedeutet? Napoleon hätte dies verneint.
Ende 1941 ist der Vormarsch der Deutschen jedenfalls erst einmal vorbei. Hitler gibt jetzt nur noch den Befehl, die eroberten Stellungen zu halten. Im nächsten Jahr will man am Südosten der Front selbige ausdehnen; es klappt jedoch alles nicht so, wie man sich das vorstellt. Die Sechste Armee unter Paulus erobert Stalingrad, erschöpft sich allerdings dabei. Die Rote Armee greift die Flanken der Deutschen von Norden und Süden an und schafft es, die Sechste Armee einzukesseln. Paulus will durchbrechen; Hitler befiehlt, durchzuhalten. Kälte, Typhus und Lebensmittelknappheit sind Verbündete der Russen, die schließlich am 2. Februar den letzten Widerstand in der Stadt überwinden. Mit der Katastrophe im Kessel endet die Expansion der Deutschen in Russland; von nun an hält man nur noch einst Erobertes, bis es nicht mehr zu halten ist. Was hinter der Front geschieht, ist bekannt.
Die Grundlagen für den alliierten Sieg sind gelegt; freilich gibt es erste Anzeichen für den kommenden, großen Weltkonflikt. Daher betitelt Churchill sein viertes Buch „Triumph und Tragödie”, das von der Eroberung Italiens, den Vorbereitungen und der Durchführung der Invasion in der Normandie, der allmählichen Zurückdrängung der Deutschen aus dem Balkan, den letzten Zuckungen des Reiches in Zentraleuropa, den frühen Anzeichen des kalten Krieges und der Atombombe erzählt.
Von Nordafrika aus unternimmt man zunächst den Sprung nach Sizilien, das am 17. August 1943 ganz offiziell in der Hand der Alliierten ist. Die Entscheidung, ob man im Anschluss auch die italienische Halbinsel angreifen will, fällt in Italien selbst: Ein erfolgreiches Bombardement Roms gibt für den Großen Faschistenrat – in Hitler-Deutschland gibt es so etwas nicht – den Ausschlag, Mussolini in den Morgenstunden des 25. Juli zu entmachten; ein paar Stunden später wird der Duce verhaftet. Die neue italienische Regierung unterzeichnet einen Waffenstillstand. Hitler nimmt dies zum Anlass, sich zur Verteidigung des Faschismus massiv militärisch in Italien zu engagieren und den zuvor befreundeten Staat faktisch zu besetzen. Die Alliierten setzen über.
Mussolini wird in Mittelitalien interniert, wo ihn deutsche Faschirmjäger „befreien”, woraufhin er eine berlinhörige „Schattenregierung” am Gardasee installiert. Seine Anhänger liefern sich zusammen mit den Deutschen einen Bürgerkrieg mit den Regierungstreuen. Italienische Streitkräfte auf dem Balkan stehen zwischen den ehemaligen Verbündeten und den lokalen Partisanen; düstere Dinge geschehen. Mussolini selbst wird von Hitler angestachelt, Rache an seinen Opponenten im faschistischen Großrat zu nehmen: Selbst sein Schwiegersohn wird hingerichtet.
Inzwischen wird es Zeit für konkretere Planungen für Operation Overlord, wie die größte Invasion der Militärgeschichte heißen wird. Von Großbritannien aus sollen amerikanische und britische Kräfte in Frankreich landen und nach Osten vorstoßen. Als Landungspunkte stehen der Großraum Calais oder die Normandie zur Auswahl; man entscheidet sich für die Normandie, in der künstliche Häfen errichtet werden müssen, um die gigantischen Mengen an Menschen und Material auf den Kontinent verbringen zu können. Für eine erfolgreiche Invasion muss sogar ein neuer Typus von Wasserfahrzeug konstruiert werden: Seit 1940 hatte man in England fieberhaft an der Entwicklung von amphibischen Panzerfahrzeugen gearbeitet – ein Gedanke, der im ersten Weltkrieg noch nicht realisiert worden war.
Im Zusammenhang mit dem militärischen Engagement Amerikas und Großbritanniens in Italien entstehen angesichts der geplanten gigantischen Operationen in Nordfrankreich strategische (oder auch taktische) Meinungsverschiedenheiten zwischen den Verbündeten: Die Amerikaner möchten sich auf Overlord konzentrieren; Churchill versucht, noch einiges aus der Situation im Mittelmeer zu machen; er denkt an eine Invasion des Balkans. Das hat bei einigen Historikern die Vermutung hervorgerufen, Churchill sei gar nicht so sehr für die Invasion in der Normandie gewesen; vielmehr habe er gehofft, über Süd- oder Südosteuropa nach Norden vordringen zu können, um eher als die Russen in Zentraleuropa zu sein – Churchill ahnt den Kalten Krieg, als man in Washington noch an ein herzliches Einvernehmen mit Moskau zu glauben scheint. Obwohl ich auch schon gelesen habe, Roosevelt sei nicht naiv, sondern schlicht eiskalter Realpolitiker gewesen, als er Osteuropa den Sowjets überlassen habe, bleibt die Feststellung, dass Churchill sehr viel stärker daran interessiert war, den zukünftigen Einfluss Stalins auf die alte Welt zu beschränken und dies durch die Beeinflussung des Kriegsgeschehens sicherzustellen.
Was von der These, der Premier habe einen Marsch von Süden bis nach Berlin für möglich gehalten, richtig ist, vermag ich nicht zu beurteilen: Bei Krockow las ich die Argumentation, dass kaum vorstellbar sei, wie die großen Massen von Kriegsmaterial über die Alpen geschafft hätten werden sollen. Nicht klar ist mir in diesem Lichte, wie ich die Stelle bei Churchill zu interpretieren habe, dass sich aus „einer Flottenlandung in Istrien die lockende Aussicht [ergebe], durch die Laibacher Senke in Ungarn und Österreich einzumarschieren und aus dieser Richtung mitten ins Herz Deutschlands vorzustoßen” (S. 930f.). Was Churchill auf jeden Fall vorhatte, war sicherlich, Wien vor den Russen zu erreichen. Die Geschichte verlief anders und ohne nähere Kenntnis der Geschehnisse nach der Besetzung durch Sowjettruppen scheint es mir angesichts der späteren Jahrzehnte so, als sei die alte Hauptstadt der Habsburger einigermaßen davongekommen.
Zum Zeitpunkt der großen Konferenz in Teheran beginnen die Alliierten, sich gemeinsam erste Gedanken über die Nachkriegsordnung zu machen. Hier konkretisiert sich nicht nur das Konzept der späteren UN; hier entsteht auch die Idee einer „Westverschiebung” Polens – Russland soll Geländegewinne verbuchen können; deshalb muss Polen Territorien des Deutschen Reiches erhalten.
Einer der Hauptkritikpunkte an Churchill ist der Bombenkrieg, namentlich die Bombardierung Dresdens in den letzten Kriegstagen. Zu den Angriffen auf Hamburg zwei Jahre zuvor, deren zweiter einen Feuersturm auslöst, verweist er auf Speer, der zugegeben habe, dass sechs weitere Luftangriffe dieser Art auf andere Großstädte die deutsche Rüstungsproduktion zum Zusammenbruch gebracht hätten. Eine weitere Funktion der Bombenangriffe scheint es gewesen zu sein, den deutschen Jagdschutz nach Deutschland zu ziehen, um die Luftverteidigung über Frankreich, dem zukünftigen Invasionsgebiet, zu erschweren. Beide Argumente nennt Churchill allerdings anscheinend nicht mit Rechtfertigungsabsicht, sondern ganz neutral quasi als Kriegsberichterstatter. Wenn ich es nicht übersehen habe, erwähnt er das Bombardement auf Dresden gar nicht.
Eine Geheimhaltung der Invasion in Nordfrankreich ist von vornherein ausgeschlossen; man versucht allerdings, anscheinend erfolgreich, die Deutschen glauben zu machen, man wolle bei Calais angreifen. In Wirklichkeit ist, wie gesagt, die Normandie das Ziel. Trotz schlechten Wetters entscheidet sich Oberbefehlshaber Eisenhower dafür, die Invasion am 6. Juni stattfinden zu lassen.
Dieses Großereignis der Militärgeschichte stiehlt der Eroberung Roms am selben Tag ein bisschen die Show, wobei Churchill im Unterhaus seine Freude zu haben scheint, während seines Berichtes über Italien die Abgeordneten, die auf Neuigkeiten von der Küste warten, ein bisschen „zappeln [zu] lassen”. Aus seiner Sicht ist die Invasion gut verlaufen; nur an „einem amerikanischen Strandabschnitt” habe es ernsthafte Schwierigkeiten gegeben, schreibt er an Stalin. Jener amerikanische Strandabschnitt, so wissen wir aus dem Film Saving Private Ryan von Steven Spielberg, ist „Omaha Beach”.
Eines der vielen sehr traurigen Kapitel des Jahres 1944 ist der Aufstand in Warschau(, der nicht mit dem Aufstand im Ghetto 1943 verwechselt werden sollte). Wir erinnern uns: England begann den Krieg gegen Deutschland 1939, weil Hitler die Integrität Polens nicht geachtet hatte. Im Juli fünf Jahre später steht die Rote Armee vor der Weichsel; man hört in Warschau das Donnern der Geschütze. Der Moskauer Rundfunk appelliert an die Einwohner, sich selbst zu befreien, damit die Stadt nicht im Kampf der Deutschen gegen die Sowjets zerstört wird. Der Stadtkommandant der Polnischen Heimatarmee, General Bor, entscheidet sich zum Aufstand, auf Hilfe von Osten hoffend. Vierzigtausend Polen sind zum Kampf bereit; man hat für etwas mehr als eine Woche Lebensmittel- und Munitionsreserven.
Hitler befiehlt, den Aufstand niederzuschlagen. Auch die SS beteiligt sich an dem Kampf, der die deutsche Herrschaft über Warschau nur kurze Zeit verlängern wird. Aber in dieser Zeit geschieht Schreckliches. Haus um Haus kämpft man in der Stadt; sogar in der Kanalisation fließt Blut – Mann gegen Mann mit Messern. Aus anderen Quellen erfahre ich, dass Befehle zum systematischen Massenmord an der Zivilbevölkerung ergangen und durchgeführt worden sind. Die Opferzahlen gehen in die Zehntausende.
Und die Rote Armee tut nichts bzw. wenig zu spät; erlaubt noch nicht einmal alliierten Flugzeugen, die Hilfsflüge unternehmen wollen, auf sowjetisch besetztem Territorium zu landen. Für Churchill ist die Sache eindeutig: Moskau hat kein Interesse daran, ein durch konservative Kräfte befreites Warschau – und damit selbstbewusstes Polen – anzutreffen. Heute wird vermutet, Stalin habe die Polnische Heimatarmee zugunsten der polnischen Arbeiterpartei schwächen wollen und deshalb mit kaltem Lächeln zugesehen, wie die Deutschen gleichsam die Drecksarbeit erledigten. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive ist die Frage jedoch nicht eindeutig beantwortet.
Im Pazifik steht einer Invasion der japanischen Hauptinseln – oder sogar großen Bombardements – der Umstand entgegen, dass bis zu den Marianen eine Kette von Inselgruppen von Japan besetzt ist, die eine Art Schutzschild schaffen. Die wichtigsten dieser Inseln werden daher mit immensem logistischem Aufwand erobert. Im Angesicht der drohenden Unterbrechung der Treibstoffversorgung der Japanischen Hauptinseln entscheidet sich die Admiralität des Kaiserreiches für einen Großangriff der ganzen Flotte. Schauplatz dieser letzten großen Schlacht werden die Philippinen sein. Die Amerikaner entdecken, dass auf der Insel Leyte relativ wenig Gegenwehr zu erwarten ist, und beschließen deshalb, dort an Land zu gehen.
Hier wollen die Japaner ansetzen: Die Landungstruppen unter General MacArthur werden von Schlachtschiffen und Flugzeugträgern der Navy geschützt, daher soll erst ein Köder die Flotte nach Norden vom Schauplatz weglocken. Ist die Landungsflotte exponiert, soll der größte Teil der japanischen Flotte sie angreifen und vernichtend schlagen. Fast funktioniert der Plan auch, aber aus unbekannten Gründen dreht der japanische Befehlshaber ab. Churchill vermutet, dass der mit wenigen Informationen versorgte Admiral Kurita davon ausging, die Landungsflotte sei entkommen und die abgelenkte Flotte bewege sich in Wirklichkeit auf ihn zu.
In Europa verläuft der Vormarsch im Westen weniger flüssig als erhofft. In den Ardennen werden die vorrückenden Amerika und Engländer plötzlich von einer großen Offensive überrascht. Auf persönliche Planung Hitlers geht das Vorhaben zurück, die alliierte Front zu durchbrechen und die Nachschubwege der nördlichen Armeen durch Besetzung Antwerpens zu unterbrechen. Die deutschen Kräfte sind jedoch zu schwach und als das Wetter besser wird, zerstören schwere Bomber die Nachschubwege der Deutschen. Nach einer Gegenoffensive müssen sie sich zurückziehen.
In Moskau trifft sich Churchill mit Stalin, um über die Nachkriegsordnung zu sprechen. Bezüglich Südosteuropas einigt man sich auf eine merkwürdige Liste mit Prozentformeln für jedes Land. Interessensphären seien hier nicht abgesteckt; vielmehr gehe es um quantitative Formulierungen von Interessen, die den Problemen der Länder entgegengebracht würden. Griechenland erhält die Zahl 90% für Großbritannien. Folgerichtig spielt London eine entscheidende Rolle gegen die Revolution, die ausbricht, sobald die Deutschen vertrieben sind. In den Straßen Athens liefern sich britische Einheiten Schießereien mit Kommunisten. Churchill ordnet ein recht robustes Vorgehen an, was ihm in der Weltpresse und im Unterhaus einige Kritik einbringt. Weihnachten ist er selbst in Griechenland, um die Bildung einer neuen griechischen Regierung anzuregen. In London bearbeitet er zusammen mit Außenminister Eden den Exilkönig in einer Nachtsitzung, Erzbischof Damaskinos zum Regenten zu bestellen. Im Januar hat Griechenland eine nichtkommunistische Regierung.
Im Frühjahr 1945 treffen sich die großen Drei – Roosevelt, Churchill und Stalin – in Jalta, um sich u.a. über die Nachkriegsordnung zu verständigen. Man will Konflikte unter den Großmächten vermeiden und einigt sich daher darauf, dass im Sicherheitsrat der geplanten neuen Organisation nichts geht, wenn eine der großen Mächte – Amerika, China, Großbritannien oder Russland – ein Veto einlegt. Die Sowjets hatten darauf gedrängt, institutionell zu verhindern, dass ihnen noch einmal so etwas passieren könne wie 1939, als Großbritannien den Völkerbund gegen die Sowjetunion mobilisierte, nachdem diese Finnland angegriffen hatte.
In den letzten Wochen des Kriegs versucht Churchill, Roosevelt davon zu überzeugen, dass die Westalliierten möglichst weit in den Osten vorrücken müssten, um die Sowjets für die Verhandlungen der Zukunft nicht zu stark werden zu lassen. Roosevelt ist allerdings todkrank, mithin entsteht ein kleines Machtvakuum an der Spitze der USA. Die Sowjetregierung nutzt inzwischen die Zeit, um in Osteuropa die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten zu festigen. Churchill sieht deutlich vor Augen, dass aus den eigentlich versprochenen freien Wahlen – etwa in Polen – nichts werden wird.
Der letzte Teil des Dramas in Europa ist bekannt – Mussolini wird erschossen, Hitler begeht Selbstmord und Deutschland kapituliert unter Dönitz bedingungslos. Die Alliierten setzen sich in den in Jalta vereinbarten Besatzungszonen fest. Churchill spricht gegenüber dem neuen Präsidenten Truman von einem „eisernen Vorhang” – man wisse nicht so recht, was in den sowjetisch besetzten Gebieten Europas geschehe, ahne aber Schlimmes.
Im Juli trifft man sich in Potsdam. Zu dieser Zeit endet das Manhattan-Projekt erfolgreich: Die USA werden Atommacht. Dass die Bombe gegen Japan eingesetzt werden soll, sagt Churchill, habe nicht zur Diskussion gestanden. Man habe befürchtet, dass die Japaner aufgrund der Samurai-Tradition eine klassische Invasion mit verzweifelter Gegenwehr beantworten würden, was das Leben von anderthalb Millionen alliierter Soldaten hätte kosten können. Ferner habe man nun Russland nicht mehr gebraucht, um den Krieg gegen das Kaiserreich zu gewinnen, was die Verhandlungsposition in Europa verbessert habe.
Die Potsdamer Konferenz verläuft unbefriedigend für den Premier. Er hatte gehofft, die Landgewinne für Polen auf die Deutschen Gebiete östlich der Glatzer Neiße reduzieren zu können. Stalin schafft jedoch Fakten und etabliert die Lausitzer Neiße, was die Umsiedlung von acht Millionen Deutschen zur Konsequenz hat. Churchill zweifelt daran, dass die Umsiedlung funktionieren wird – wie soll man diese Volksmassen in Westdeutschland versorgen? In der Tat wird später die Integrationsleistung der Heimatvertriebenen in der Bundesrepublik als eine der größten Leistungen des jungen Staates gelten.
Stalin wird en passant von Truman über die Atombombe unterrichtet – der Herr des Kremls gibt sich freudig vergnügt, wobei Churchill das Gefühl hat, Stalin begreife nicht, welche immense, welterschütternde Bedeutung diese neue Waffe habe. Ich meine allerdings, gelesen zu haben, Stalin hätte bereits frühzeitig durch Spionage Kenntnis vom Manhattan-Projekt gehabt, sei mithin nicht wirklich überrascht gewesen.
Die Schilderung des Zweiten Weltkriegs beendet Churchill mit einem Bericht über die Wahlen in Großbritannien, die der Labour-Party überraschenderweise die Mehrheit bringen. Sie hatte Sozialprogramme versprochen; Churchill stand für Krieg. Obwohl man dem Staatsmann unendlich dankbar ist, hofft man doch, dass nun die Zeiten des Leidens vorbei sind. Sobald er weiß, dass die Tories keine Mehrheit im neuen House of Commons haben, tritt Churchill zurück und verlässt No. 10 Downing Street, um 1951 für einige Jahre zurückzukehren. Seine große Zeit ist allerdings vorbei.
Einzelne Aspekte seien zum Schluss noch gesondert thematisiert. Häufig hörte ich, die Westalliierten seien zu sanft mit den Sowjets umgegangen; man hätte mehr fordern können und müssen. Die Zurückhaltung in Washington und London erklärt sich vielleicht durch die Angst vor einem russischen Sonderfrieden mit Hitlerdeutschland, das jahrelang noch als äußerst gefährlicher Gegner galt. Aus seiner Abneigung gegen die Sowjetunion macht Churchill keinen Hehl; seine Versuche um Schadensbegrenzung scheitern jedoch an der relativen Schwäche des Empire.
Churchills Darstellung bestätigt und verstärkt einen Eindruck, den ich aus der bisherigen Lektüre von Werken über Hitler gewonnen habe: Dass seine strategischen und taktischen Ziele sowie seine Methoden verbrecherisch in nie gekanntem Ausmaße waren, ist hinlänglich bekannt. Relativ neu für mich ist allerdings der Eindruck, dass sie im Vergleich zu klassischer Staatsführungskunst noch dazu katastrophal stümperhaft waren; geradezu verstörend unsachgemäß. Aber vielleicht bedurfte es den direkten Vergleich zu Churchill, dem Kind des britischen Parlamentarismus, um dies so deutlich zu sehen.
Neu für mich war auch die wirklich globale Perspektive, die der Premier des Britischen Empire in der Auseinandersetzung mit Deutschland und Japan naturgemäß einnimmt. Schlachten werden geschlagen von der Ostküste der USA über Europa, den Mittelmeerraum, den Nahen Osten – sogar im Irak kämpft man gegen Verbündete der Deutschen – bis mitten in den pazifischen Ozean. Wahrlich ein Weltkrieg. Schockierend auch die Opferzahlen der Kampfhandlungen. Zehntausende Soldaten sterben auf Schlachtfeldern, die im großen Krieg Nebenschauplätze sind. Welch ein gigantischer Blutzoll. Verglichen damit erscheint der Vietnamkrieg mit seinen 60.000 toten Amerikanern (jedenfalls für ihre Nation) regelrecht unblutig.
Für seine Darstellung des Zweiten Weltkriegs wird Churchill mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Mir scheint: zu Recht, da das Werk auf seinen über 1100 Seiten eine faszinierende Detailfreude hat und trotzdem fesselt. Diese machtvolle Darstellung von Vorgeschichte und Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs ist ein pageturner. Aus der Parteilichkeit des Autors speist sich ein besonderer Charme: Man nimmt die Perspektive des wichtigsten Akteurs ein, weshalb man den Hauch der Geschichte spürt, fast zu einem Augenzeugen wird. Ich bereue weder Lektüre noch Investition von 14,- €.