Makiya, Kanan, Republic of Fear – Buchvorstellung
„Republic of Fear“ von Kanan Makiya gilt als das Standardwerk über das irakische Ba'ath-Regime. Leider ist Herr Makiya kein Freund des Plain English, weshalb es mich (2008) mehrere Monate kostete, mich mühselig durch das Werk durchzuarbeiten. Ich verwendete eine Paperback-Ausgabe aus 1998, die um Anmerkungen aus 1997 ergänzt worden war. Republic of Fear war erstmals 1989 erschienen; geschrieben unter dem Eindruck des Krieges zwischen Iran und Irak. Ich versuche, die mir wichtig erscheinenden Gedanken und Aussagen wiederzugeben, dabei nicht nach der Gliederung des Buches vorgehend.
Der ideologische Kern des Ba'athismus ist der Panarabismus, der Glaube an die Existenz einer einheitlichen arabischen Nation und die Forderung nach der Einrichtung eines einheitlichen arabischen Staates (S. 149). Nach beendeten Experimenten mit dem Panarabismus in den 30er Jahren kehrt der Gedanke in den späten 40ern in den Irak zurück, getragen von studentischen Gruppen und Grüppchen, die vom syrischen Ba'athismus inspiriert wurden, was 1952 zur Gründung der irakischen Ba'ath-Partei führt (S. 183). Einer der wichtigsten Vordenker der Bewegung ist Michel Aflaq, der stets betont, dass Panarabismus irrational (meine Vokabel) sein müsse: Das aus dem Westen stammende „abstrakte Denken“ ziehe „den Dingen Fleisch und Blut ab und raube ihnen Farbe und Geschmack“ (S. 190).
Die erste politisch-programmatische Äußerung der Ba'ath-Partei findet sich in einem Programm zur syrischen Wahl 1943. Hier wird der historische Materialismus zugunsten eines „Arabischen Geistes“ zurückgewiesen (S. 191), der durch westliche Philosophie und Lehre bedroht sei (S. 192). Die Rückständigkeit der arabischen Welt wird verstanden als nationale Selbstverwirklichung, wobei Bildung und Geschichtserzählung abgeschottet werden müssten, um „Kontaminierung“ zu verhindern (S. 193). Der Nationalismus müsse extrem gelebt (totality of conduct) werden, der Arabismus müsse die Politik mit ihren Antagonismen überwinden, man repräsentiere eine neue arabische Generation (S. 194f.).
Geistige Grundlage dieses militanten Arabismus ist der Islam, zu dessen integrativer Kraft freilich eine ethnische, exklusive Komponente hinzutritt (S. 198f.). Folgten die Menschen diesem perfektionistischem Ideal, wäre alles gut, da alle Wurzeln des Übels externe, aber jedenfalls klar zu benennende Kräfte sind, was angesichts der offenkundigen Schwächen der Menschen Aflaq mit einer gewissen Verachtung erfüllt, die an Hass grenzt (S. 203f.).
Diese absolute, quasireligiöse Moral ist Existenzvoraussetzung für die arabische Gesellschaft, weswegen jegliches Abweichen unmittelbar und direkt als Verrat betrachtet wird. Hier ist die Kernlegitimation für Gewalt eines Ba'ath-Regimes zu finden, die nicht der Verteidigung dient, sondern von vornherein im revolutionären Kontext eingesetzt wird, um die Menschen zu ihrem „wahren Selbst“ zurückzuführen, das sie vergessen hätten. Grausamkeit, „Haß bis zum Tod“ sei umso mehr nötig, je stärker man die Nation liebe (S. 206).
Werden absolute und unerreichbare Ziele dieser Art zur Quelle der politischen Identität, gibt es keine Begrenzungen für staatliche Maßnahmen; insbesondere wird nicht davon ausgegangen, es bestehe ein Antagonismus zwischen staatlichen Eingriffs- und zivilen Bürgerrechten. Vielmehr vermischen sich Moral und Recht in ununterscheidbarer Weise (S. 208f.), weshalb Makiya auch skeptisch ist gegenüber Charakterisierungen des Ba'ath-Regimes als säkular. Er meint, Säkularismus liege vor, wenn die Politik nicht mehr durch eine Form transzendenter Moral begründet werde, was aber unter der Ba'ath-Partei eindeutig der Fall sei (S. 210).
Weitere Folge des absoluten Charakters der eigenen Vorstellungen ist Paranoia: Wenn nur ein Fünftel einer Gesellschaft als soziale Basis für Panarabismus dienen kann (S. 215), dann fällt es nicht schwer, die Existenz eines nur diffus bestimmten inneren(!) Gegners herbeizuphantasieren, der mit aller Macht bekämpft werden muss, um die Identität der eigenen Bewegung zu stärken (S. 219).
Unverzichtbares Mittel zur Schaffung des „neuen Bürgers“ (S. 220) ist die Parteiorganisation, deren Existenz als perfektes Musterbeispiel der zu schaffenden Gesellschaft die Dringlichkeit der Transformation der Gesamtgesellschaft ein wenig reduziert, wobei die auch in der Partei nicht perfekte Praxis zu einem Auseinanderklaffen von Realität und Wahrnehmung führt (S. 221f.). Von diesem Betonen der Organisation ist es nur ein kurzer Schritt bis zum Führerprinzip; der Führer ist die Personifizierung der neuen Idee, die damit für jedermann sichtbar wird (S. 223).
Der Kommunismus mit seinem materialistischen Geschichts- und dem typischen Klassendenken wird nach dem Sturz der Monarchie 1958 zum großen Antagonisten der unversalistischeren Ba'ath-Bewegung (S. 227). Die Ideologie der Ba'ath besitzt angesichts ihrer Einfachheit, Radikalität und ihrer aufwertenden Botschaft für den niedergeschlagenen Araber die größere Attraktivität (S. 245), weshalb die Ba'ath-Partei nach einem Putsch 1968 die führende politische Kraft im Irak wird, die erst die Kommunisten in eine Einheitsfront zwingt (S. 232), um sie später gewaltsam zu marginalisieren (S. 234). Die hemmungslose Zuwendung zur Gewalt gegen jedermann führt zum „Ende der Politik“ etwa im Jahr 1975 (S. 236).
Interessant auch Makiyas Äußerungen zum Thema „Freiheit“. Das Konzept privater Souveränität werde in der Dritten Welt nicht verstanden als das Produkt aufklärerischer Philosophie, das im Westen als conditio sine qua non einer humanen Gesellschaft betrachtet wird; vielmehr sehe man es als Mittel zur wirtschaftlichen Ausbeutung anderer. Folgerichtig versteht auch die Ba'ath Freiheit in ihrer negativen Komponente als Freiheit von auswärtigen Einflüssen, namentlich vom Imperialismus, in ihrer positiven Komponente als rein kollektivistisch: Der Mensch ist frei, wenn sein Geist im ekstatischen Ereignis mit dem Geist des Kollektivs verschmilzt, was die wahre Form der Selbstverwirklichung ist (für alles: S. 253ff.).
Dem Putsch von 1968 geht eine Traumatisierung des politischen Lebens im Irak aufgrund der totalen Niederlage der arabischen Staaten im Sechs-Tage-Krieg gegen Israel voraus (S. 47). Als Ursache für das Scheitern sieht man eine Fünfte Kolonne von Agenten des Zionismus und des Imperialismus, wobei die irakischen Juden als Bevölkerungsgruppe pauschal mit freilich halbherzigen Sanktionen belegt werden (S. 48). Es folgen die „Entdeckungen“ von Spionagenetzwerken und Schauprozesse, wobei die Öffentlichkeit als „sich ihrer selbst bewusste unabhängige Einheit“ angesichts einer allgemeinen Hysterie zu existieren aufhört (S. 51f.).
Im Verlaufe der Jahre gewöhnt man sich an die immer neuen Aufdeckungen, wobei mit zunehmender Konsolidierung des Regimes die Anforderungen an Plausibilität der Beschuldigungen nachlassen (S. 54). In der irakischen Gesellschaft entsteht eine „neue Art von Angst“, nachdem vom Terror nicht mehr nur Randgruppen betroffen sind, die zu einer Haltung des Rückzugs, des Zynismus und der Paranoia führt (S. 58). Aufgrund der Furcht auch und insbesondere vor dem massiv anschwellenden Netzwerk von Denunzianten schweigt der öffentliche Diskurs, was kollektive Reflexion unmöglich macht und die Bevölkerung zwingt, selbst die absurdesten Lügen zu glauben (S. 61), was wiederum zu Verwirrung und Auflösung klarer Bewertungsmaßstäbe führt (S. 64). Die Menschen sind ob ihrer Angst zu einer Art passiven Herde geworden, die nur auf die nächste Katastrophe wartet; der individuelle kritische Geist und die eigene Identität sind verschwunden (S. 66f.).
Wovor hat man Angst? Die Bandbreite an grausamen Praktiken entspricht dem, was zu erwarten wäre: „Geständnisrituale“, öffentliche Hinrichtungen u. a. durch Erhängen, die Darbietung von Leichnamen und schließlich – nach der Konsolidierung des Regimes ab der Mitte der 70er Jahre (S. 66) – systematische und institutionalisierte Folter (S. 67). Später wird das System durch Geheimhaltung perfektioniert; es herrscht die abstrakte Angst vor der Unausweichlichkeit eines fürchterlichen und anonymen Todes (S. 68f.).
Wichtiger Teil der ideologischen Arbeit in der Gesellschaft ist die Beeinflussung der Jugend, weshalb nach Altersklassen differenzierte Jugendorganisationen der Ba'ath-Partei ins Leben gerufen werden (S. 76f.); Kinder dienen so auch als Werkzeuge der Beeinflussung und der Überwachung ihrer Eltern (S. 78).
Die Stellung der Frauen ist kompliziert: Einerseits werden traditionelle Rechte der Männer geschwächt oder abgeschafft; an ihre Stelle tritt freilich der Staat, der Frauen ebenfalls nicht als Individuen im westlichen Sinne betrachtet (S. 90). Folgerichtig sind Reformen eher staatsnah; namentlich das Militär nimmt gern Rekrutinnen auf. Im privaten Bereich ist man konservativer; überkommene islamische Werte bleiben intakt, weshalb wenig unternommen wird gegen die Bevorzugung des Mannes im Recht, etwa Polygamie, die Scheidung oder das Erben betreffend (S. 90f.). Ziel des Spiels ist nicht die Befreiung der Frau im westlichen Sinne; vielmehr erfordert Loyalität zum Führer, zur Partei und zum Staat, dass die traditionellen Loyalitäten zur Familie geschwächt werden. Das Patriarchat ist ersetzt worden durch die Herrschaft des Staates, was Makiya sogar zu der These führt, dass die Freiheit der Frauen in der traditionellen arabischen Familie größer gewesen sein könnte (S. 92f.).
Legitimität erhält das Regime durch den steigenden Lebensstandard, der die These begründen soll, er müsse mit dem Aufgeben von Freiheitsrechten erkauft werden (S. 93). Bildung und medizinische Versorgung sind kostenlos, Freiheit (liberty) wird z. T. verstanden als Synonym für ausreichend Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Hygiene, kulturelles Bewusstsein und emotionale Teilnahme an den Problemen der Nation (S. 93ff.). Das Beispiel der Sowjetunion, das anscheinend mit Gewalt aus einem rückständigen Land eine Weltmacht geschaffen hat, dient als Präzedenzfall (S. 98).
Eine Marginalie zu Verschwörungstheorien: Sie würden in einer Atmosphäre des extremen Fatalismus und der Feindschaft gegenüber Individualismus gedeihen, die typisch sei, so Makiya, für die islamische Kultur. Die Idee der Unterwerfung unter den Willen Gottes untergrabe die moderne Sicht des Menschen als Akteur seiner Geschichte; er ist quasi höheren Mächten ausgeliefert (S. 100).
Die erwähnte Zersetzung des öffentlichen Diskurses führt durch Zerstörung eines entsprechenden mentalen Kontextes nach einem Vierteljahrhundert zu der Unfähigkeit der Bevölkerung, die Realität sachgerecht zu erfassen (S. 101). Aus Gründen der Selbstachtung ist man z. T. psychisch gezwungen, was man tut für richtig zu halten (S. 104). Andere Möglichkeiten der Flucht aus der traurigen Lage sind der Rückzug in Familie oder Religion, was wiederum Fundamentalismus und religiösen Antagonismen hervorbringt (S. 106f.).
Ein vom System bereit gestellter Fixpunkt zur Selbstvergewisserung ist die Figur des Führers (S. 116), der angesichts der Bürokratisierung der Partei alles politische Charisma auf sich vereint (S. 113). Seine Funktion, Projektionsfläche für die Träume der Menschen zu sein, wird ermöglicht durch die völlige Abwesenheit schon des Konzeptes individueller Freiheit (S.116); das Ausgeliefertsein gegenüber der Omnipotenz des Staates in Kombination mit der omnipräsenten Angst zerstört das Selbstwertgefühl der Iraker so nachhaltig, dass die Fähigkeit verloren geht, selbstständig moralische Urteile zu fällen (S. 119).
Die Zivilgesellschaft wird durch die Partei ersetzt (S. 126), wobei der einzelne Bürger seiner traditionellen Wurzeln beraubt wird, um unmittelbar dem Staat gegenüberzustehen (S. 128). Durch die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft verschwindet auch die Unterscheidung zwischen Recht und Moral, was der Partei weitere Autorität verschafft (S. 130). Die Verfassung des Staates ist politische, ermächtigende Programmatik, kein System von Regeln zur Beschränkung der Autorität der Verfassungsorgane (S. 139).
Zu Beginn seiner Monographie beschreibt Makiya die wichtigsten Sicherheitsdienste des Staates der Ba'ath-Partei, die polizeilich, militärisch oder sonst klassisch exekutivisch sind. Die Details interessieren wohl weniger; vielmehr ist festzuhalten, dass 1980 etwa ein Fünftel der arbeitenden Bevölkerung in irgendeiner Form mit der Ausübung von Gewalt zu tun hatte (S. 38). Zum Thema Armee schreibt Makiya, sie sei in ihrer Geschichte einzig dann erfolgreich gewesen, wenn sie gegen Stammeskämpfer und wehrlose Zivilisten vorgegangen sei, was die Mentalität des irakischen Offizierscorps in „sehr spezieller Weise“ geformt habe (S. 21).
Für das Buch des Jahres 1989 ist die finale Katastrophe der Krieg des Irak gegen den Nachbarn Iran. Dieser erste wirklich große Krieg in der Dritten Welt (S. 261), in dem mindestens 500.000 Menschen zu Tode kamen, könne nur erklärt werden durch das letztendliche nach außen Treten der Gewalt, die das bis an die Zähne bewaffnete Regime bisher im Inneren praktiziert habe (S. 270f.). Die konkrete Motivation Saddam Husseins, den Nachbarn anzugreifen, könne zwar nicht rekonstruiert werden (S. 272), aber vermutlich sei der enorme Prestigegewinn, der mit militärischen Siegen einhergegangen wäre, ein wichtiges Motiv gewesen (S. 273). Die militärischen Erfolge seien jedoch ausgeblieben, da einendes Band der Streitkräfte nicht Patriotismus oder ähnliches, sondern schlichte Angst gewesen sei – fürchte der Soldat den Gegner stärker als die eigene Führung, sei mit massiven Desertionen zu rechnen (S. 278).
Nebenbei erfahren wir auch, warum die irakische Regierung gern Giftgas einsetzte: Wer durch Gas stirbt, eignet sich ob des unheldenhaften Todes nicht zum Märtyrer (S. 287).
Am Anfang des Buches steht der chronologische Schluss: Eine Einführung aus dem Jahr 1997, fünf Jahre nach Desert Storm. In ihr fasst Makiya Kerngedanken des Buches zusammen und berichtet, dass die Dinge noch schlimmer werden sollten: Nach Ende des Krieges gegen den Iran habe sich die Gewalt im Irak wieder nach innen gerichtet etwa in Form des Genozids gegen die Kurden (S. XIIf.). Makiya erwähnt Details, die ich nicht beschreiben möchte; jedenfalls liege die Opferzahl bei etwa 100.000 Menschen.
Der Lebensstandard im Irak sei in den 90er Jahren massiv gesunken; durch extreme Gewalt in Gestalt archaischer, an der Sharia orientierter Gesetzgebung (S. XXII), habe das Regime seine Autorität verteidigt, um gleichzeitig mit den USA Katz und Maus zu spielen (S. XVI). Das Beispiel des Irak lehre, was passiere, wenn ein Regime nicht beseitigt werde, das hartnäckig internationales Recht bricht und daher Sanktionen unterworfen wird: Es „korrodiert und rostet“, wobei der größte Teil der Bevölkerung in Armut versinke (S. XVII). Die amerikanische Politik in den 90er Jahren, Saddam Hussein im Amt zu lassen, sei gescheitert; die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit müsse dem Leid der Iraker gelten, nicht den „banalen Formalitäten“ der Inspektorenteams der UN, Massenvernichtungswaffen betreffend (S. XXI).
Ein Sturz von innen sei kaum möglich, da das gesamte Regime jahrelang „putschsicher“ organisiert worden sei, etwa durch Infiltration der Armee durch die Geheimpolizei (S. XX). Mit der Schwäche des Regimes in den 90ern sei die konfessionelle Spaltung des Irak einhergegangen: Die Regierung habe bewusst die Angst der Menschen voreinander geschürt (S. XXXf.), um sich selbst angesichts zu erwartenden Chaos' nach einem Ende des Regimes als kleineres Übel darzustellen. Ich schließe mit dem Zitat eines ungenannten irakischen Intellektuellen (S. XXXI):If the regime falls, you can imagine the chaos that will result, with the poor attacking the less poor. Nearly everyone here has arms, and the country is slipping into chaos. Sometimes I think the regime encourages the idea of a breakdown. It's like saying, 'See what could happen?', if they were no longer around.
Sie können sich das Chaos vorstellen, das entstehen wird, falls das Regime fällt: Arme, die die weniger Armen angreifen. Praktisch jeder hat hier Waffen und das Land rutscht ins Chaos. Manchmal denke ich, das Regime fördert die Vorstellung eines Zusammenbruchs. Es ist, als würde man sagen: 'Seht, was passieren könnte?', wenn sie nicht mehr da wären.